Süddeutscher Verlag GmbH München SZ Süddeutsche Zeitung Münchner Neueste Nachrichten aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Sport München 1992 Nummer 173 Mittwoch, 29. Juli 1992 Politik
Falls sich die EG-Mitglieder weiter sperren Deutschland will noch mehr Flüchtlinge aufnehmen UNO appelliert an Hilfsbereitschaft der Staaten Innenminister Seiters: Hilfe im Krisengebiet reicht nicht mehr aus, um dem dortigen Geschehen gerecht zu werden Bundesländer signalisieren Zustimmung / Auch Serbien will Hilfe für Kriegsvertriebene / UNO-Konferenz tagt in Gen Genf Bonn/Genf (AP/dpa/epd) Deutschland ist bereit, nach der Aufnahme von 5200 Flüchtlingen aus Bosnien am letzten Wochenende, weiteren Flüchtlingen die Einreise zu erlauben. Er werde eine entsprechendeVerabredung mit den Bundesländern anstreben, falls auf der am heutigen Mittwoch beginnenden UNO-Flüchtlingskonferenz in Genf keine Einigung über europaweiter Flüchtlingskontigente erreicht werde, sagte Seiters vor seiner Abreise nach Genf. Mehrere Bundesländer signalisierten bereits Zustimmung in dieser Frage. Das Hohe Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen rief die internationale Gemeinschaft auf, sich um eine Lösung der Flüchtlingskatastrophe im früheren Jugoslawien zu bemühen. Der Appell wurde außer von den schon jetzt helfenden Staaten kaum beachtet. Dänemark und die Niederlande sagten gestern zu, vorübergehend bosnische Flüchtlinge aufzunehmen.

Der Bonner Innenminister betonte, ebenso wie die zuletzt aufgenommenen 5200 Menschen müsse auch die Aufnahme weiterer Flüchtlinge auf ein deutsches Kontingent bei einer europaweiten Regelung angerechnet werden. Seiters appellierte erneut an die EG-Partner, Flüchtlinge aus den Republiken des ehemaligen Jugoslawiens im Rahmen einer internationalen Lastenteilung für eine begrenzte Zeit aufzunehmen. Bisher waren entsprechende Vorstöße Bonns an der Ablehnung vor allem Großbritanniens und Spaniens gescheitert.

Die UNO-Konferenz in Genf soll nach den Erwartungen des Flüchtlingskommissariats vor allem die am meisten von der Flüchtlingswelle betroffenen Länder entlasten. Slowenien, Kroatien, Serbien und Bosnien litten unter einer unerträglichen Last, sagte der Direktor der Abteilung für äußere Beziehungen, Sören Petersen. Die europäischen Länder müßten unbedingt mehr Menschen in ihre Länder lassen. (Seite 6)

Seiters deutete auch eine Änderung der deutschen Haltung an, die bislang Hilfen für die Kriegsopfer in ihren Heimatgebieten favorisierte. Hilfen vor Ort reichen derzeit nicht mehr aus, um der Verantwortung der EG-Staaten gegenüber dem Geschehen im ehemaligen Jugoslawien gerecht zu werden, sagte der Innenminister.

die Innenminister der Bundesländer sind nach einer Umfrage der Kölner Tageszeitung Express bereit, weitere Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina aufzunehmen. Der bayerische Innenminister Edmund Stoiber sagte, sollte eine Übereinstimmung aller Innenminister möglich sein, so ist das Kontingent von 5000 Flüchtlingen aus Bosnien für mich kein Schlußpunkt. Allerdings dürfe Europa nicht aus der Verantwortung entlassen werden. Ähnlich wie Stoiber äußerten sich dem Blatt zufolge auch Mitglieder den meisten anderen Landesregierungen.

Dänemark will vorübergehend eine gewisse Anzahl von Flüchtlingen aus dem Kriegsgebiet im ehemaligen Jugoslawien aufnehmen. Das gab Ministerpräsident Poul Schlüter in Kopenhagen bekannt. Schlüter wollte keine Zahlen nennen. Aus Regierungskreisen verlautete, man werde wahrscheinlich 1000 Flüchtlinge vorübergehend in Dänemark aufnehmen, die nach Kriegsende in ihre Heimat zurückkehren sollen.

Aus humanitären Gründen und auf ausdrücklichen Wunsch des UNO-Flüchtlingskommissariates werden die Niederlande 332 bosnischen Flüchtlingen, die den Grenzübergang Obrezje zwischen Kroatien und Slowenien blockiert hatten, aufnehmen. Außenminister Hans van den Broek hatte sich aus prinzipiellen Gründen und weil Aufnahme von Heimatvertriebenen nicht Teil des niederländischen Asylrechtes ist, anfangs geweigert, Visa auszustellen. Van den Broek betonte, es handle sich diesmal um eine Ausnahme und die Menschen könnten nur befristet im Lande bleiben.

Auch Serbien will nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Tanjug die internationale Gemeinschaft um Flüchtlingshilfe bitten. Tanjug zitierte den Chef des Serbischen Flüchtlingsamtes, Dobrica Vulovic. Serbien beanspruche die gleiche Behandlung wie die anderen ehemals jugoslawischen Republiken und werde deshalb einen Hilfsappell für die 400000 Flüchtlinge in Serbien auf der Konferenz des UNO-Hochkommissars erlassen. Die Zahl von 400000 Flüchtlingen wird vom Roten Kreuz in Serbien genannt.

UNO hofft auf finanzielle Hilfe 2,2 Millionen Menschen auf der Flucht Täglich kommen mehr als 10000 Flüchtlinge aus Bosnien hinzu Genf (AFP/dpa)

Die Zahl der Flüchtlinge im früheren Jugoslawien ist nach UNO-Angaben auf 2,2 Millionen gestiegen. Rund eine halbe Million davon hält sich in anderen europäischen Ländern auf, teile ein Sprecher des UNO-Hochkommissariats für das Flüchtlingswesen (UNHCR) in Genf mit. Jeden Tag kommen nach Angaben des UNHCR etwa 10000 neue Flüchtlinge hinzu. In Genf findet am Mittwoch eine Konferenz des UNHCR zum Krieg in Jugoslawien statt. Angesichts des größten Flüchtlingsstroms in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs hofft die UNO-Organisation dabei auf massive finanzielle Hilfe durch die internationale Staatengemeinschaft.

Bei der eintägigen Konferenz werde das UNHCR keine Aufnahmequoten für einzelne Länder vorschlagen, sagte eine UNHCR- Sprecherin. Jedoch werde erwartet, daß einzelne Delegationen entsprechende Pläne vorlegen. In der vergangenen Woche hatte Bundeskanzler Helmut Kohl an die übrigen EG-Staaten appelliert, mehr Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina aufzunehmen.

Die Hohe Flüchtlingskommissarin Sadako Ogata nannte unterdessen die zwei wichtigsten Ziele des Genfer Treffens: Neben einer massiven Erhöhung der Finanzmittel für die Flüchtlinge gehe sie auch davon aus, daß die Last für die Unterbringung der Menschen, die vor allem von den Republiken des ehemaligen Jugoslawiens getragen werde, gerechter verteilt werde. Beunruhigend sei vor allem, wie die Vertriebenen, die nur in Zeltlagern lebten, den Winter überstehen sollen. Von den 145 Millionen Dollar, die das UNHCR für die Flüchtlinge angefordert hatte, seien mittlerweile zwei Drittel eingegangen. Wegen des anhaltenden Flüchtlingsstroms reichten die Mittel aber bei weitem nicht aus. Bei der Konferenz sollen auch Möglichkeiten für eine Heimkehr der Flüchtlinge erörtert werden.

Ingesamt hat der Bürgerkrieg ca. 2,2 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben. Ca. 1,8 Millionen davon halten sich noch auf dem Gebiet Ex-Jugoslawiens auf. Zusätzlich ...Jugoslawiens auf. Zusätzlich ...